Russen in London: „Londongrad“ – die Hauptstadt der Oligarchie

Russen in London: „Londongrad“ – die Hauptstadt der Oligarchie

Stand: 22.02.2023 20:06 Uhr

Auf der britischen Sanktionsliste stehen mehr als 1.500 russische Staatsbürger – doch für viele Oligarchen aus Russland geht das Leben in London nahezu ungestört weiter. Ein Grund mögen die großzügigen Spenden des Gouverneurs sein.

Geschrieben von Christophe Brüssel, ARD Studio London

Es gibt viele Sightseeing-Touren in London. Wenn Sie genug vom Buckingham Palace, Piccadilly und Big Ben haben, müssen Sie die Kleptocrates-Tour ausprobieren. Diese ganz besondere Stadtrundfahrt führt Sie jenseits der opulenten Paläste russischer Oligarchen in London.

Christoph Brüssel
ARD-Studio London

Roman Borisovich organisiert die Reisen seit sechs Jahren, und ein Jahr nachdem Russland die Ukraine angegriffen hat, gibt es immer noch viel zu sehen. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor einem Jahr hat die britische Regierung mehrere Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf ihre Sanktionsliste gesetzt. Doch für viele Oligarchen geht das Leben in London fast ungestört weiter.

Obszöner Reichtum trotz der Strafen

Erster Halt: Witanhurst Castle, ein kleines Schloss im Norden Londons. „Hinter den hohen Mauern sieht man das schöne Gebäude“, sagt Borisovich ins Busmikrofon. Wittenhorst gehört dem russischen Oligarchen Andrej Georgiew, der in den 1990er Jahren, als die Sowjetunion zerfiel, in Russland Milliarden verdiente.

Es ist das zweitgrößte Gebäude der britischen Hauptstadt – nach dem Buckingham Palace. Borisovich fügt hinzu, dass unter der Burg drei Stockwerke ausgegraben wurden. Hier sind eine Garage für 25 Autos und ein Schwimmbad mit einer 50-Meter-Bahn entstanden.

Der unerhörte Reichtum russischer Oligarchen ist trotz Sanktionen vielerorts in London zu bewundern. Die Sanktionsliste umfasst inzwischen mehr als 1.500 Personen, darunter mehrere Mitglieder des russischen Parlaments – aber Kritiker sagen, dass nur sehr wenige Menschen ihr Geld in London geparkt haben.

„Die Regierung muss viel weiter gehen.“

Die britische Regierung hat viele Gesetze verschärft. „Es wurde viel erreicht“, sagt Oliver Polo, ein Journalist und Autor, der in London seit Jahren über Sanktionen und die russische Oligarchie arbeitet. Aber seiner Meinung nach sollte die Regierung viel weiter gehen.

Ein Beispiel hierfür ist das Handelsregister. Schließlich gibt es neue Richtlinien, um mehr Transparenz zu schaffen. Früher konnte jeder ein Unternehmen namens Micky Maus gründen – niemand prüfte die Daten. Dagegen ist die Regierung vorgegangen. Aber es gibt immer noch große Lücken, wo Transparenzregeln nicht gelten, zum Beispiel auf den Britischen Jungferninseln.

Regierungsversprechen wurden nicht erfüllt

Oliver Polooff kritisierte auch, dass viele der sanktionierten Oligarchen das Geld für ihre Grundbedürfnisse verwenden dürften. Für Piotr Avene zum Beispiel sollten das 60.000 Pfund im Monat sein, sagt Oliver Bullough. Er fordert die britische Regierung auf, restriktiver mit der Oligarchie umzugehen.

Boris Johnson, der frühere britische Premierminister, versprach vor einem Jahr mehr Personal für die Ermittlungsbehörden und krönte seine Rede im Unterhaus mit dem Satz: „Londons Oligarchen werden sich nirgendwo verstecken können.“

Aber so weit kam es nicht. Die Ermittlungsbefugnisse seien erhöht worden, aber in den zuständigen Abteilungen seien nicht genügend Leute tätig gewesen, sagt Oliver Bullough. Er fordert, Putins Freunde hart zu bestrafen.

Prigozhins Klage gegen Journalisten

Kritiker finden es auch empörend, dass sanktionierte Oligarchen Journalisten vor britischen Gerichten verklagen können. In einem besonders aufsehenerregenden Fall reichte Wagners Söldnerchef Yevgeny Prigozhin eine Verleumdungsklage gegen den Journalisten Eliot Higgins ein.

Er hatte Einzelheiten über die Aktivitäten der Wagner-Gruppe in Afrika und Prigoschins Nähe zu Putin veröffentlicht. Die Denkfabrik Open Democracy hat gerade Auszüge aus Dokumenten zitiert, die zeigen, dass die britische Regierung dazu beigetragen hat, diese Klage zu ermöglichen.

Trotz der bestehenden Sanktionen durfte Prigozhin eine Anwaltskanzlei in London beschäftigen, und seine Anwälte hatten die Möglichkeit, nach Sankt Petersburg zu reisen. Laut Open Democracy bezahlte Prigozhin die Anwälte direkt aus Russland.

Letztendlich wies das Gericht im März 2022 die Klage ab. Viele Journalisten sind jedoch von diesen Klagen eingeschüchtert, vor allem, weil sie es mit Top-Kanzleien zu tun haben, deren Verfahren sehr teuer sind.

Russische Spenden an die Gouverneure

Der zurückhaltende, ja sogar freundliche Umgang mit russischen Oligarchen über die Jahre hat seine Gründe: In London hat sich eine ganze Reihe von Branchen angesiedelt, die die Superreichen unterstützen: Immobilien, Finanzberatung, Anwaltskanzleien und Privatschulen zum Beispiel.

Auch russische Bürger haben in den letzten Jahren immer wieder Geld an die Konservative Partei gespendet. Im Februar 2022 veröffentlichte die Labour Party Informationen über diese Spenden. Demnach hat die Konservative Partei seit dem Amtsantritt von Boris Johnson mehr als zwei Millionen Euro an Spenden von Russen oder russischen Quellen erhalten.

Wirken die Sanktionen gegen die russischen Oligarchen?

Christophe Brüssel, ARD London, 22.02.2023, 20:25 Uhr

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