Konservative werfen dem neuen britischen Premierminister vor, schlechte Laune zu verbreiten. Auch Starmer versprach in seiner Parteitagsrede, sich schwierigen Zeiten zu stellen, und klang dabei eher pragmatisch als charismatisch.
„Veränderung beginnt“, jetzt beginnt Veränderung: Mit diesem als Slogan getarnten Versprechen hat Labour die Liverpool Trade Fair im wahrsten Sinne des Wortes geschmückt. Der Slogan steht auf vielen Plakaten, Schals und Plakaten, mit denen sich die britischen Sozialdemokraten innerhalb von drei Tagen eine Blase aufgebaut haben. Dort formulierten sie den Plan, mit dem sie Großbritannien völlig erneuern wollten.
Fragt man Parteimitglieder, stellt man fest, dass die neue Regierung bereits viel erreicht hat. Labour hat ein staatliches Energieunternehmen gegründet, ehrgeizige Neubauziele angekündigt und Lohnerhöhungen im öffentlichen Sektor sowie Reformvorschläge für den Senat und einen neuen Ansatz für die Europäische Union versprochen. Auch der langjährige Streik der Assistenzärzte wurde beendet.
Fehlt Starmer die Vision?
Doch außerhalb des Messegeländes wird diese Botschaft kaum wahrgenommen. Die Popularität von Premierminister Keir Starmer ist in Meinungsumfragen zuletzt stark zurückgegangen. Ohnehin ist das Mandat, das Labour bei der Wahl Anfang Juli gewonnen hat, schwach: Die meisten Briten gaben damals an, sie hätten weniger aus Überzeugung für Labour gestimmt, sondern weil die Konservativen aus dem Amt geworfen wurden. Gerade vor diesem Hintergrund muss Starmer nun alles tun, um die Briten zu begeistern.
Stattdessen wird ihm nicht nur von der Opposition vorgeworfen, er habe keine große Vision. „Keir Starmer ist es nicht besonders gelungen, eine gute Erzählung zu schaffen“, sagt der Politikwissenschaftler John Curtis. „Wofür steht seine Partei und was für ein Land möchte Großbritannien sein? Das Fehlen dieser Rhetorik wird besonders deutlich, jetzt wo Labour schwierige Entscheidungen treffen muss.“
Starmer will keine Politik der einfachen Antworten
Die vorherige konservative Regierung hinterließ das Land mit maroden Staatskassen und zerstörter Infrastruktur. Die Aufgaben sind also enorm. Doch Starmer hält sich eher bedeckt. „Zu wenig versprechen und zu viel liefern“ ist Labours anderer Slogan: Es ist besser, weniger zu versprechen und letztendlich mehr zu liefern, als umgekehrt. Auch wenn die Briten mehr Hoffnung gebrauchen könnten.
So wirkte Starmer in seiner Parteitagsrede regelmäßig sachlich. Er versteht, dass die Menschen nicht die Geduld haben, auf eine Erneuerung zu warten. Sie haben sich an die „Lügen, das Drama und die Leistung“ der Vorgängerregierung gewöhnt, eine Politik der einfachen Antworten. Das ist genau die Art von Politik, für die Labour nicht stehen will und die den Briten keine falschen Hoffnungen mehr machen will.
Stattdessen beteuerte Starmer seinen Parteimitgliedern, dass es den Briten schwer fallen werde: Wer günstigeren Strom wolle, müsse auch mehr Strommasten in seiner Gemeinde akzeptieren. Wer weniger Migration will, muss akzeptieren, dass es keine einfachen Antworten gibt. Mehr Wohnungen bedeuten mehr Bauland und härtere Strafen bedeuten mehr Gefängnisse.
Pragmatisch statt charismatisch
Wieder einmal sprach Starmer nicht wie ein Politiker, sondern eher wie ein Staatsanwalt, der Richter mit Argumenten beeindrucken will – eher pragmatisch als charismatisch. „Ich weiß, dass viele der Entscheidungen, die wir treffen müssen, unpopulär sein werden“, sagte der 62-Jährige. So stieß beispielsweise der Plan, den Heizkostenzuschuss für Rentner im Winter zu kürzen, auch aus den eigenen Reihen auf heftige Kritik. Starmer betonte aber auch, dass seine Entscheidungen kurzfristig schwierig sein werden. Aber auf lange Sicht eine Verbesserung bringen.
Starmers große Vision schien zwischen den Zeilen eine antipopulistische, „sachliche“ Politik zu sein. Starmer sagte, dass nun eine ruhige und entschlossene Ära der Politik als Dienst am Volk begonnen habe. Die Delegierten im Saal unterbrachen seine Rede immer wieder mit tosendem Applaus. Zukünftige Umfragen werden zeigen, ob dieser „seriöse“ Ansatz auch beim Rest der britischen Öffentlichkeit Anklang findet.